Vontobel Marktkommentar: Vertrauensverlust als Gift – EZB muss aktiver werden

Nach einer vorübergehenden Beruhigung im Oktober sind die Finanzmärkte im November wieder in den Strudel der Staatsschuldenkrise in der Europäischen Union geraten. Die Zinsen der peripheren Länder der Eurozone stiegen im November wieder deutlich an, jene für zweijährige italienische Staatsanleihen auf über 7.5%. Wir erinnern uns: Das nachhaltige Zinsniveau, bei dem die italienischen Staatsschulden konstant bleiben, liegt bei rund 3.5%. Eine besorgniserregende neue Entwicklung ist, dass sich die Krise immer deutlicher auf die Eurokernländer Frankreich, Österreich und Deutschland ausweitet. Frankreich muss mittlerweile gegenüber Deutschland einen Zinsaufschlag von rund 200 Basispunkten hinnehmen. Aber auch in Deutschland steigen die Zinsen langsam an. Noch ist unklar, ob das Land – der letzte verbleibende «sichere Hafen» in der Eurozone – ebenfalls infiziert wurde. Ganz ausschliessen lässt sich dies nicht.

Warum spitzt sich die Situation seit einigen Monaten zu? Sind etwa die Staatsschulden oder die Haushaltdefizite in dieser kurzen Zeit gestiegen? Der Hauptgrund liegt darin, dass die Märkte kein Vertrauen in die Lösungsvorschläge der europäischen Entscheidungsträger haben. Diskussionen um einen Bankrott Griechenlands und einen drohenden Totalverlust auf griechischen Staatspapieren – von der Politik fast schon als unausweichlich dargestellt – bestärken die Marktteilnehmer in ihrem Pessimismus. Das ist kaum verwunderlich, denn bei der Einführung des Euro hatte man schliesslich versprochen, kein Land bankrott gehen zu lassen. Entsprechend sah das Basel-II-Regelwerk auch nicht vor, dass die Banken beim Kauf von Obligationen der Eurostaaten Eigenmittel hinterlegen müssten. Vor diesem Hintergrund mutet der sogenannte «freiwillige» Verzicht der Banken, der natürlich von der Politik erzwungen wurde, beim griechischen Schuldenschnitt besonders grotesk an.

Die immer offener erörterte Möglichkeit einer Pleite Griechenlands wirft bei den Marktteilnehmern die Frage auf, was wohl geschehen würde, wenn ein grosses Euroland in Schwierigkeiten geraten würde. In einem solchen Falle dürften erst recht Eigentumsrechte verletzt werden. Derlei Erwägungen führen zu einem weiteren Vertrauensverlust und sind der eigentliche Grund für die steigenden Zinsen in Europa.

Was ist nun zu tun, um die Eurokrise zu stabilisieren? Drei Punkte sind entscheidend:

Erstens sollte man darauf beharren, dass Griechenland die Schulden zurückzahlt. Ein Bankrott muss vermieden werden. Dies ist sowohl aus moralischer als auch aus ökonomischer Sicht wichtig. Dazu liesse sich der Plan der Wirtschaftsberatung Roland Berger wieder ins Spiel bringen, wonach verschiedene Aktiva Griechenlands – zum Beispiel Gold der griechischen Zentralbank, Staatsbetriebe oder anderes Staatseigentum – in eine Art Treuhandgesellschaft ausserhalb Griechenlands eingebracht werden könnten. Diese liessen sich dann in aller Ruhe über Jahrzehnte möglicherweise mit Gewinn verkaufen. In der Zwischenzeit würde der Wert der Aktiva Griechenland zwecks Schuldentilgung überwiesen. So könnte knapp die Hälfte der Schulden abgebaut werden. Eine ähnliche «Zwischenlagerung» kennen wir aus der Schweiz, als die Schweizerische Nationalbank die «toxischen» US-Immobilienpapiere der UBS in einem speziellen Vehikel zusammenfasste.

Zweitens muss die Europäische Zentralbank (EZB) beherzter eingreifen. Kurzfristig führen nur ausreichende Obligationenkäufe der EZB zu den dringend benötigten tieferen Zinsen. Dabei sollte ein Zinsoberziel für italienische Obligationen bekannt gegeben werden. Ein solcher Schritt muss allerdings zwingend von glaubhaften Konsolidierungsmassnahmen beim italienischen Budget und Schuldenberg begleitet sein. Solche Obligationenkäufe durch die EZB mögen möglicherweise eine Art Rechtsbruch darstellen, denn der EZB ist es untersagt, Staaten finanziell zu stützen («No-Bailout»-Klausel). Doch die EZB kann argumentieren, dass ja Deutschland sehenden Auges frühere Rechtsverstösse Italiens, Griechenlands und anderer Staaten gegen den Maastrichtvertrag geduldet, und diesen schliesslich sogar selber verletzt hat.

Drittens braucht es glaubwürdige Schritte zur Fiskal-, besser noch politischen Union mit allen Konsequenzen wie einer gewissen Beschneidung nationalstaatlicher Souveränität. Hierzu gehören auch in der Verfassung verankerte Schuldenbremsen.

Ob dies alles realistisch ist, ist schwer zu sagen. Die bisherigen Euroszenarien unseres Hauses haben nach wie vor Gültigkeit. Mittlerweile wird allerdings immer klarer, dass das «Muddling Through» (Durchwurstel-)Szenario nicht mehr allzu lange weiter gehen kann und vermutlich schon 2012 eine Entscheidung zwischen dem positiven Szenario «Der grosse Wurf» und dem negativen «Eurokollaps» erfolgen wird. Wenn die Politik nicht bald die nötigen Schritte einlenkt – nächste Gelegenheit bietet der kommende Eurogipfel Anfang Dezember –, wird das letztere Szenario etwas wahrscheinlicher.

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